Game Reviews: Nelly Cootalot – The Fowl Fleet

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Nelly Cootalot – The Fowl Fleet ist ein außergewöhnliches Point-and-Click-Abenteuer aus der Feder des britischen Comedian Alasdair (hyphenated) Beckett-King, bei dem man gemeinsam mit der witzigen Piratin Nelly auf eine Spezialmission zur Rettung entführter Zugvögel aufbricht. Und natürlich auf Schatzsuche geht. Produziert wird The Fowl Fleet von Application Systems Heidelberg, die aus dem ehemaligen Kickstarter-Projekt ein hoch-professionelles Spiel mit beachtlichem Budget gemacht haben.

Um Nelly Cootalot – The Fowl Fleet erfolgreich zu absolvieren, braucht man starke Nerven. Nicht etwa, weil das Spiel sonderlich gruselig oder extrem action-bepackt ist. Nein, man muss einfach ganz schön am Ball bleiben, um alle vorgesetzten Aufgaben zur Zufriedenheit des Spieleautors (der einen sehr eigenen Humor pflegt) zu lösen, – und ans Ziel zu kommen.

Während der Beta-Testphase konnten wir Nelly auf dem Steam Client für PC eingehend unter die Lupe nehmen und uns mit den nicht immer einfachen Aufgaben dieser Piraten-Mission auseinandersetzen. Etwas problematisch gestalteten sich dabei die Einflüsse der in der Beta noch andauernden Entwicklungsarbeiten am Game, die sich in einigen Programmabstürzen äußerten und gelegentlich Störungen bei der Darstellung verursachten. Je weiter die Aktualisierungs-Updates allerdings voranschritten, umso deutlicher hat sich das Spiel über die Tage verbessert. Kurz vor dem Launch, am 23. März 2016, konnten wir nur noch wenige Probleme feststellen, die mitunter mehr unserer mäßigen Internetverbindung und dem steinzeitlichen PC zuzurechnen waren, als dem Spiel selbst.

Game Reviews: Nelly Cootalot

Was uns gleich beim ersten Blick auf Nelly Cootalot sehr positiv auffiel, war der ansprechende und individuelle Zeichenstil dieses Games, der ein wenig an ein außergewöhnliches Comic oder ein illustriertes Kinderbuch erinnert.

Dezent bunte und immer etwas schräg, mit sicherem Strich gezeichnete Panels, verleihen der ganzen Geschichte eine besondere künstlerische Note, die durch den großen Detailreichtum noch unverwechselbarer wird und Nelly Cootalot auf erfrischende Weise vom Point-and-Click-Mainstream abhebt. Für den witzigen britischen Unterton und die hin und wieder eingestreuten „cultural references“ – z.B. die Metapher an den Albatros aus dem berühmten Gedicht von Samuel Taylor Coleridge, The Rime of the Ancient Mariner (1798) – ist in der Originalfassung ganz klar der Nelly-Schöpfer Alasdair Beckett-King verantwortlich. Der Britische Stand-up Comedian, Filmemacher und selbsternannte „Gentleman-Thief “ rühmt sich in seinem Heimatland zahlreicher Auszeichnungen. Noch erfolgreicher allerdings, so gibt der, wie seine Heldin ebenfalls rothaarige Brite freimütig zu, war er vergleichsweise beim „award-losing“ – und das macht den Guten gleich doppelt sympathisch.

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Humor der besonderen Art

Alasdairs wirklich außerordentlichen Sinn für trockenen britischen Humor, den er im BBC-Radio und auf diversen Festivals in Großbritannien zum besten gab und gibt, bekommen auch die Spieler von Nelly Cootalot immer wieder zu spüren. Mehr als einmal entlockte mir das Spiel unerwartet ein lautes Lachen, denn mit so mancher Wendung rechnet man tatsächlich gar nicht. Alleine dafür – und für seine wunderbaren Wortneuschöpfungen im Piratenslang – bekommt Nelly ein paar Extra-Sympathiepunkte! Mir persönlich hat – als Liebhaberin der englischen Sprache und Kultur – die Originalversion des Spiels besonders wegen ihrer vielen kulturellen Referenzen und der sprachliche Detailliertheit gefallen, mit der auch viele Nebencharaktere brillieren. Dies in die deutsche Version zu übertragen, kann keine einfache Aufgabe gewesen sein. Obwohl auch diese Sprachversion mit exzellenten Synchronsprechern in sich selbst natürlich sehr gut funktioniert, reicht sie ans Original nur marginal heran. „Brit-Humour“ ins Deutsche zu übersetzen, – das ist im Grunde fast unmöglich.

An seinen etwas düsterer daherkommenden Landsmann Alan Moore erinnerte mich Alasdair Beckett-King übrigens nicht nur wegen seiner exorbitant-langen Haarmähne, sondern auch wegen seiner Vorliebe für die „Magiere und Zauberer des 19. Jahrhunderts“, was er auf seiner Website als wahren „Touristenmagnet“ für seine Person anpreist. Dass sich auch der Übeltäter in diesem Spiel scheinbar die Magie zunutze macht, um sein böses Ziel zu erreichen, überrascht da nicht.

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Nelly Cootalot – der Teufel steckt hier im Detail

Insgesamt steckt bei Nelly Cootalot: The Fowl Fleet der Teufel wahrlich im Detail. Glatte vier Stunden intensivster Denkarbeit waren gefordert, und es bedurfte einiges an Kombinationsgabe, bis die ersten beiden Abschnitte des Spiels geschafft waren und ich mich mit Nelly auf die eigentliche Mission begeben konnten. Dabei kann ich nicht behaupten, dass Point-and-Click-Games mir in der Regel besonders schwer fallen.

Nelly Cootalot ist eindeutig ein Spiel für absolute Um-die-Ecke-Denker. Die Schwierigkeit beginnt bereits damit, dass man Anfangs nicht sehr konkret über seine Aufgaben und eventuelle Lösungswege aufgeklärt wird. All das erfährt man schrittweise in den mehr oder weniger hilfreichen Gesprächen mit den vielen Charakteren, oder während man die Umgebung erkundet. Und nicht selten ist selbst dann die Aufgabe noch immer einigermaßen vage umrissen. Lösungen erschließen sich manchmal erst, wenn man ein passendes Objekt gefunden hat, das auch aufgrund seiner Beschaffenheit Rückschlüsse auf eine Problemlösung liefern kann. Natürlich – und auch das muss man erst lernen – sollte man in diesem Game öfters mit den anwesenden Charakteren sprechen! Denn hat man bestimmte Aufgaben im Spiel gelöst oder Entdeckungen gemacht, kann es gut sein, dass die ein oder andere Figur mit weiteren Details herausrückt. Oder auch nicht. Das ist, so merkt man sehr schnell, der ganz besondere Witz an Nelly Cootalot.

Wohl in einem Anfall von vorweggenommener Schadenfreude haben der Autor und die Spieleentwickler alle möglichen Gegenstände ohne echte Relevanz im Spiel platziert und anklickbar(!) gemacht. Da gestaltet sich die Lösung mancher Probleme wirklich trickreich, schwierig – und manchmal auch super-nervig. Denn: Nein, auch wenn die Haarbürste an der Wand zum Hundertsten Mal beklickt wird, es passiert praktisch überhaupt nichts. „WTF!“ – denkt man da irgendwann, und gelang zu einer recht eigenen Vorstellung darüber, welchen Bezug der Game-Designer, der sich so einen Schabernack ausdenkt, wohl zum Thema Haare hat.

Allerdings: Es gibt es auch hier die berühmte Ausnahme von der Regel. Zu einem späteren Zeitpunkt der Geschichte kann ein vorher nutzloses Objekt plötzlich durchaus Bedeutung erlangen, ja, das ist bei Nelly Cootalot tatsächlich möglich. Dem Spielemacher kann man also verzeihen und zu bedenken geben: Humor ist, wenn man trotzdem lacht und Erinnerungsvermögen ist sowieso das A&O, will man am Ende zusammen mit Nelly auf die Lösung des Ganzen kommen. Die Haarbürste – soviel sei verraten – trägt dazu allerdings eher wenig bei.

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Der Cheater gewinnt fast immer: Nelly Cootalot und die Sache mit der Trickserei

Dass es sich lohnen kann, gelegentlich ein wenig zu tricksen, erfährt man in diesem Spiel schnell – zum Beispiel beim Sammeln brauchbarer Gegenstände. Diese lassen sich hier nicht immer einfach so einsammeln! Man muss sie sich ermogeln , sie zusammenklauen, oder gegen etwas anderes tauschen. Und dafür steht einiges an Beinarbeit und Ideenreichtum auf dem Programm. Kilometergeld gib es im Spiel zwar nicht, aber dafür ist der Stolz umso größer, wenn man schließlich nach langem Hin- und Herverhandeln eine besonders starrsinnige Aufgabe gelöst hat. Ob das ganze ethisch korrekt ist, wollen wir hier nicht weiter hinterfragen. Schließlich geht es um die Rettung sämtlicher Seevögel von Groat Island!

Hat man das Spielprinzip des trickreichen Such-, Klau- und Tauschhandels und der Schritt-für-Schritt-Aufgabenverteilung einmal verinnerlicht, werden die folgende Aufgaben etwas leichter. Aber eigentlich auch wieder nicht. Denn weiß man um die Bedeutung kommender Dialoge, wird es plötzlich auch ganz schön anstrengend. Alles mögliche könnte hier etwas zur Lösung des Problems beitragen, oder? Soll die lustige Musikeinlage des Volksmusikhelden auf Groat Island die Story lediglich untermalen, oder könnten der Songtext und die darin zur Schau getragenen expliziten (mindestens 100) Meinungen über die Inselbewohner später eventuell auch noch Bedeutung erlangen? Wer weiß!

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Tolle Charakterisierungen – vom Hafenmeister über den Cat-Burglar bis zum Suppenküchen-Chef

Trotz der einigermaßen großen geistigen Anstrengung und einiger heimlich ausgestoßener Flüchen (die man hier aus Pietätsgründen nicht wiedergeben sollte) fiel es mir bemerkenswert leicht, immer wieder zur kecken Nelly und ihren Co-Charakteren zurückzukehren, und mein Glück eben nochmal zu versuchen. Dass man zur Protagonistin schnell eine herzliche Verbindung knüpft, liegt vor allem an den bezaubernden und witzigen Dialogen und den „trickfilmartigen Showeinlagen“ der Charaktere, die in Teilen schon fast komödiantische Züge annehmen. Manchmal hat man das Gefühl, das Spiel verfolgt tatsächlich seine eigene Handlung, die zu beobachten alleine es wert ist, immer wieder zurückzukehren. Auch nach langen vergeblichen Problemlösungsversuchen. Jede Figur ist hier mit ihrer eigenen Geschichte, individueller Sprache, Vorlieben und Lastern und einem meist liebenswerten Tick ausgestattet, was mitunter sogar den Bösewicht sympathisch erscheinen lässt.

Game Reviews: Nelly Cootalot

Insgesamt kann man Nelly Cootalot – The Fowl Fleet solchen Spielern empfehlen, die gerne lachen, nicht auf schnelle Erfolge aus sind, ihre geistigen Fähigkeiten mit Vehemenz trainieren wollen und sich nicht allzu leicht entmutigen lassen. Man lernt hier sehr gut, selektiv zuzuhören, wichtige Informationen im eigenen geistigen Fundus zu speichern und sie später mit neuen Sachverhalten zu verknüpfen. Bei der Lösung der Aufgaben ist sowohl Kreativität als auch Köpfchen gefragt. Und über die Spieldauer lässt sich lediglich spekulieren: Unser Spielstand bewegt sich derzeit bei 13 Stunden. Das Ende ist allerdings noch nicht wirklich in Sicht, da sich gerade wieder eine vermeintlich einfache Aufgabe als besonders trickreiche entpuppt hat.

Einen besonderen Bonus erhält Nelly Cootalot – The Fowl Fleet von mir für den skurrilen französischen Comte Fou und das Bob-Dylan-Imitat – einen sonnenbrillentragenden Folk-Sänger, der – ganz offensichtlich im Stil des großen Vorbilds und mit ähnlich abstrusen Geschichten – das Geschehen rund um die Town Hall von Groat Island auflockert. Die beiden stehen stellvertretend für eine liebevoll zusammengestellte Truppe herrlich individueller Nebencharaktere und Komparsen, die dem ganzen Spiel mit skurrilen und witzigen „schauspielerischen“ Einlagen regelrecht filmische Qualität verleihen – und dabei einen ganz herrlichen, eigenen Sinn des Nelly-Machers für Humor widerspiegeln. Prädikat: (Britischer) Humor vom Feinsten. Sehr empfehlenswert!

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